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4.2.2. Wissen über die Komplexität und die Relevanz von Regeln

Selbst unter der Bedingung, daß das nötige Wissen für die Beantwortung einer Frage sich explizit und seperat im wissens­basierten System befindet und durch das Benutzermodell die gewünschte Form der Erklärung bekannt ist, werden die Erklärungen noch nicht befriedigend sein. Einer der größten Nachteile von augenblicklichen Erklärungen ist, daß sie sehr lang sind und viele unwichtige Informationen wie beispielsweise Housekeeping und schon bekannte Informationen enthalten. Aufgrund dieser Tatsache sind die Erklärungen häufig schwer verständlich.

Eine Erklärung erfordert nicht immer eine Beschreibung aller Details der kausalen Zusammenhänge. Abhängig vom Wissensstand des Benutzers, dem Kontext und der Dialoghistorie ist eine mehr oder weniger ausführliche Erklärung notwendig.311 Eine Erklärung muß so detailiert sein, daß sie einen Kontakt zu dem Wissen des Benutzers herstellt,312 aber nur soviel bekanntes Wissen enthält, wie zum Verständnis der Zusammenhänge notwendig ist.

Das Problem besteht darin, daß dem System das Wissen fehlt, um zwischen den für die Erklärungen geeigneten und ungeeigneten Informationen zu unterscheiden. Ohne dieses Wissen können überflüssige oder unverständliche Informationen nicht aus den Erklärungen herausgefiltert werden.

Wenn das wissensbasierte System Wissen über die Komplexität und Relevanz der gezogenen Schlußfolgerungen hat, dann könnten Erklärungen wie folgt generiert werden:

Abb. 16: Berücksichtigung der Komplexität bei der Erstellung von Erklärungen313


Die Wissensstandlinie [expertise] in Abb. 16 repräsentiert numerisch das Wissensniveau des Benutzers und die Detaillinie das Detaillierungsniveau, welches von dem Benutzer für die Erklärung gewünscht wird.314

Diese beiden benutzerspezifischen Variablen begrenzen die Komplexität der Erklärungen nach oben und nach unten. Schlußfolgerungen, deren Komplexität über dem gewünschten Detaillierungsniveau315 liegen, werden nicht mit in die Erklärung aufgenommen.316 Dasselbe gilt für Schlußfolgerungen, die    unter dem Expertiseniveau liegen, da in diesem Fall angenommen wird, daß der Benutzer dieses Wissen bereits besitzt. Mit Hilfe eines Benutzermodells kann selbstverständlich eine differenziertere Berücksichtigung des Vorwissens des Benutzers erfolgen.317 In diesem Kapitel wird dennoch diese Technik vorgestellt, da nicht immer ein derart differenziertes Benutzermodell zur Verfügung steht.

In dem obigen Beispiel erhält der Benutzer nur die Ableitungs­kette A -> C -> D als Erklärung der Aussage F angezeigt. Die Schlußfolgerung B wurde als zu komplex und die Schlußfolgerung E als schon bekannt eingestuft.

Es stellt sich nun die Frage, wie das wissensbasierte System die Relevanz und Komplexität einer Regel erkennen kann. Dieses Problem ergibt sich dadurch, daß kein gutes Maß für die Anzahl der Informationen in einer Regel existiert.318 Die einfachste Form, dieses Problem zu lösen, besteht darin, jeder Regel319 einen numerischen Relevanzwert und einen Komplexitätswert zuzuordnen.320 Diese Methode ist nicht unproblematisch, da die Relevanz von ein und derselben Regel für unterschiedliche Erklärungen verschieden sein kann. Darüberhinaus wird der Kontext bei der Einschätzung der Relevanz nicht berücksichtigt.

Ein anderen Ansatz wird bei TEIRESIAS verfolgt. Dort werden die Sicherheitsfaktoren der Regeln als Maß für den Informations­gehalt verwendet.321 Es wird angenommen, daß eine Regel mit einem hohen   Sicherheitsfaktor   [certainty factor oder CF] 322 weniger Informationen enthält als eine Regel mit einem niedrigen, da derartige Regeln eher als Definitionen betrachtet werden können.323 DAVIS benutzt den Ausdruck -log (certainty factor) als ein Maß für den Informationsgehalt einer Regel.324 Wie aus Abb. 17 ersichtlich ist, erklärt das System so viele Regeln, bis die Summe von deren Sicherheitsfaktoren eine Größe erreicht, die beide Seiten der Formel ausgleicht.


Bild 17:   Berechnung der Detailliertheit von Erklärungen anhand von Sicherheitsfaktoren

Die Anzahl an Regeln, die als Erklärung ausgegeben werden, hängt von den beiden Faktoren, der gewünschten Erklärungsstufe und den Sicherheitsfaktoren, ab. Wenn der Benutzer eine hohe Erklärungsstufe wählt, dann umfaßt die Erklärung mehr Regeln als bei einer niedrigeren. Die Erklärung wird auch dann umfangreicher, wenn viele Regeln mit hohen Sicherheitsfaktoren in der Erklärung enthalten sind. Aufgrund des Ausdruckes -log (certainty factor) werden in diesem Fall mehr Regeln dargestellt.325   Das  Problem   bei   dieser  Technik  besteht darin, daß die Sicherheitsfaktoren nicht immer einen Rückschluß auf die Relevanz einer Regel für Erklärungen erlauben.326 Neben der Tatsache, daß es keine formale Rechtfertigung dafür gibt, daß -log (certainty factor) ein gutes Maß für den Informationsgehalt ist, sollte ein derartiges Maß abhängig vom Wissen des Benutzers sein.327 Der Vorteil dieser Technik liegt darin, daß keine Ergänzungen in der Wissensbasis vorgenommen werden müssen.

Bei dem DIGITALIS ADVISOR und BLAH wird die Detailliertheit an der Tiefe des Schlußfolgerungsbaums gemessen. Der Zusammen­hang zwischen Tiefe und Detailliertheit ist ein Ergebnis der Hierarchie in der Wissensbasis,328

 


311       Vgl.   SWARTOUT,    W.R.;    SMOLIAR,    S.W.:    On   Making   Expert Systems more Like Experts, a.a.O., S. 205.

312       Vgl.    CLANCEY,    W.J.:    The   Epistemology   of   a   Rule-Based Expert System, a.a.O., S. 226

313       In Anlehnung an WALLIS, J.W.; SHORTLIFFE, E.H.: Explanatory Power for Medical Expert Systems, a.a.O., S. 132.

314       Diese Information kann von dem Benutzermodell oder direkt von dem Benutzer gegeben werden, indem er zusätzlich zur Frage einen Detaillierungsparameter angibt 'WHY 7'. Vgl. WALLIS, J.W.; SHORTLIFFE, E.H.: Explanatory Power for Medical Expert Systems, a.a.O., S. 132.

315       Der Defaultwert liegt bei 2 + Wissensstand. Dieser Wert kann durch Nachfragen des Benutzers oder durch das Benutzermodell erhöht werden.

316      Ausnahmen werden bei Schlußfolgerungen mit einer sehr hohen Relevanz gemacht, vergl. Vgl. WALLIS, J.W.; SHORTLIFFE, E.H.: "Explanatory Power for Medical Expert Systems, a.a.O., S. 133.

317       Siehe Kap. 4.3.1.

318       Vgl. DAVIS, R.; BUCHANAN, B.; SHORTLIFFE, E.: Production Rules as a Representation for a Knowledge-Based Consultation Program, a.a.O., S. 26.

319      Diese Technik ist auch bei anderen Wissensrepräsentationsformen anwendbar.

320      Vgl. WALLIS, J.W.; SHORTLIFFE, E.H.: Explanatory Power for Medical Expert Systems, a.a.O., 130.

321       Vgl. WEINER, J.L.: BLAH, A System Which Explains its Reasoning, a.a.O., S. 26.

322      In der Medizin können viele Aussagen nicht mit völliger Sicherheit getroffen werden. In diesem Fall verwendet MYCIN Sicherheitsfaktoren [certainty factors], um das unsichere Wissen zu repräsentieren und zu verarbeiten. Bei diesen Sicherheitsfaktoren handelt es sich um nummerische Werte zwischen -1 (völlig falsch) und *■! (100% richtig). Ein Sicherheitsfaktor   wird   errechnet   aus   der Summe  von  zwei Werten. Diese beiden Werte repräsentieren die subjektive Einschätzung des Vertrauens und des Mißtrauens in eine Hypothese. Vgl. BECKER, B.: Defizite von Expertensystemen, über Möglichkeiten und Grenzen intelligenter Computer­systeme, in: BECKER, B.; WINKELMANN, G. (HRSG.): Computer-Intelligenz contra menschliche Intelligenz, DAG-Hausdruck 2/85 - 35-49893-59, 1985, 3. 22f.

323      Vgl. SWARTOUT, W.R.: A Digitalis Therapy Advisor with Explanations, a.a.O., S. 820.

324      Vgl. DAVIS, R.; BUCHANAN, B.; SHORTLIFFE, E.: Production Rules as a Representation for a Knowledge-Based Consultation Program, a.a.O., S. 26.

325      Der Logarithmus ist die Umkehrung des Potenzierens. log (100) ist 3 da 103 = 100. Bei dem log von Zahlen zwischen 0 und 1, wie sie bei den Sicherheitsfaktoren auftreten,   ergeben   sich   negative   Werte,   die  um   so  höher sind je kleiner die Zahl ist.