4.1.3.2. Die Bedeutung von tiefem Wissen für Erklärungen
Augenblickliche wissensbasierte Systeme arbeiten meist mit flachem Wissen. In diesen flachen Systemen wird das Bereichswissen in Form von Heuristiken dargestellt, wie es auch von menschlichen Experten verwendet wird.238 Menschliche Experten denken normalerweise nicht lange über eine Lösung nach sie entnehmen die Antwort aus ihrer 'flachen Wissensbasis'. Nur wenn sie mit einem neuen Problem konfrontiert werden, müssen sie die Antwort aus den First Principles ableiten.239 Die beobachteten Fakten, die diese Situation charakterisieren, werden danach mit der Problemlösung verbunden und als flaches Wissen abgespeichert. Solche Situation-Aktion-Regeln240 enthalten das Fachbereichswissen aber nur implizit und haben keine zugrundeliegende Repräsentation von solch fundamentalen Konzepten wie Kausalität, Absicht oder grundlegenden physikalischen Prinzipien. 241 sie stellen sozusagen eine Abkürzung dar, mit deren Hilfe Schlußfolgerungsschritte ausgelassen werden können, um die Lösungsfindung zu beschleunigen. 242 in Kapitel 3.4. wurde bereits am Beispiel der Tetracycline-Regel gezeigt, wie kausales Wissen, duch das Zusammenfassen von Regeln, der Erklärungskomponente verlohren gehen kann. Aus diesem Grund sind Erklärungen in flachen Systemen darauf limitiert, die eigenen phänomenologischen Regeln an die Erklärungssuchenden auszugeben.243 Ein menschlicher Experte dagegen greift für eine Erklärung auf tiefes Wissen zurück und erklärt so auch die mittels flachen Wissens generierte Lösungen.244
Um den wissensbasierten Systemen die Fähigkeit zu geben, das zugrundeliegende Wissen darzustellen und dadurch Rechtfertigungen zu geben245, werden Modelle die tiefes Wissens enthalten benötigt (tiefe Modelle). KLEIN und FININ verdeutlichen den Begriff tiefe Modelle wie folgt: "Consider two models of expertise M and M1. We will say that M' is deeper-than M if there exists some implicit knowledge in M which is explicitly represented or computed in MV'246
Tiefe Systeme sind für Erklärungen vorteilhaft, da sie Schlußfolgerungsschritte, die in flachen Systemen implizit enthalten sind, erläutern können.247
Ein Fehleranalysesystem für Motoren soll als Beispiel dafür dienen, wie tiefes Wissen eingesetzt werden kann. Statt flaches Wissen, das nur die Relation zwischen der Problemspezifikation und der Problemlösung darstellt, ohne auf die zugrundeliegenden Prinzipien einzugehen248, könnte das System auch tiefes Wissen darüber besitzen, wie ein Motor arbeitet. In diesem Fall kann das System auf die zugrundeliegende Theorie verweisen, um seine Aktionen zu rechtfertigen.249 Ein flaches System kann im Vergleich dazu nur die von ihm verwendeten Symptom-Fehler-Verbindungen ausgeben. Dies ist aber nicht überzeugend, da keine kausalen Gründe angeben werden können.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll hier erwähnt werden, daß kausales Wissen nicht unbedingt tiefes Wissen darstellen muß und tiefes Wissen nicht unbedingt kausal ist. Diese beiden Formen korrellieren zwar eng miteinander, sind aber nicht identisch. Der kausale Zusammenhang zwischen häufigem Rasenmähen und einem schönen Rasen ist beispielsweise nicht tief, solange nicht auf die biologischen Prozesse eingegangen wird. Eine Straßenkarte oder die Mathematik sind Beispiele für tiefes Wissen, welches nicht kausal ist.250
Tiefe Systeme sind nicht nur für Rechtfertigungen vorteilhaft. Das in dem System enthaltene Wissen kann auch für die Beantwortung von weiteren Frageformen verwendet werden.251
Es gibt einige Gründe dafür, daß selten tiefes Wissen in wissensbasierten Systemen eingesetzt wird. Einer ist, daß flache Systeme gewöhnlich schneller die Lösung erreichen, da sie eher eine Lösung auswählen als konstruieren.252 Sie besitzen aber die geringere Performance. Tiefe Systeme dagegen arbeiten langsamer, erreichen aber eine höhere Performance.253 Ein weiterer wichtiger Grund ist, daß wissensbasierte Systeme häufig in Bereichen eingesetzt werden, in denen nur mit Heuristiken gearbeitet werden kann, da das zugrundeliegende tiefe Wissen nicht bekannt ist.254
Eine sinnvolle alternative Lösung können Multi-Level Systeme darstellen, die mit tiefem und flachem Wissen gleichzeitig arbeiten.255 Mit Hilfe des tiefen Wissens können Erklärungen für die Heuristiken erstellt werden. Darüber hinaus ermöglicht das tiefe Wissen auch dann eine Problemlösung, wenn für eine Situation kein heuristisches Wissen in der Wissensbasis zur Verfügung steht.255 Der Kliff- und Plateau-Effekt wird dadurch abgeschwächt. 257
235 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategie
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 10.
236 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategic
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 12.
237 Vgl. CHANDRASEKARAN, B.; TANNER, M.C.; JOSEPHSON, J.R.:
Explanation: The Role of Control Strategies and Deep
Models, a.a.O., S. 223.
238 vgl. KOCURA, P.: Deep-Model-Driven Knowledge Acquisition
for Expert Systems, in: Alvey IKBS Research Theme Expert
Systems, Deep Knowledge Workshop No. 1, University of
Sussex, Brighton, 10.-12. July 1985, 1985, S. 1.
239 Vgl. BRATKO, I.; MOZETIC, I.; LAVRAC, N.: KARDIO: A Study
in Deep and Qualitative Knowledge for Expert Systems,
Camebridge/London, 1989, S. 2.
Vgl. auch CHANDRASEKARAN, B.; MITTAL, S.: Deep Versus Compiled Knowledge Approaches to Diagnostic Problem-
Solving, in: INTERNATIONAL JOURNAL OF MAN-MACHINE STUDIES, Special Issue on Advances in Fuzzy Information Processing, Vol. 19, 1983, S. 426 (425-436).
240 Vgl. GOTTS, N.M.; HUNTER, J.R.W.: Using "Deep" Knowledge
in Medical Artificial Intelligence - A Review of Some Recent
Work, in: Alvey IKBS Research Theme Expert Systems, Deep
Knowledge Workshop No. 1, University of Sussex, Brighton,
10.-12. July 1985, 1985, S. 1.
241 Vgl. HART, P.E.: Directions for AI in the Eighties, in:
SIGART NEWSLETTER, A Quarterly Publication of the ACM
Special Interest Group on Artificial Intelligence, No. 79,
January 1982, S. 12 (11-16).
242 Vgl. STEELS, L.: Second Generation Expert Systems, in:
FGCS - FUTURE GENERATION COMPUTER SYSTEMS, Vol. 1,
Number 1, 1984/1985, S. 218 (213-221).
243 vgl. GOTTS, N.M.; HUNTER, J.R.W.: Using "Deep" Knowledge
in Medical Artificial Intelligence - A Review of Some Recent
Work, a.a.O., S. 5.
244 vgl. KOCURA, P.: Deep-Model-Driven Knowledge Acquisition for Expert Systems, a.a.O., S. 1.
245 vgl. CHANDRASEKARAN, B.; TANNER, M.C.; JOSEPHSON, J.R.: Explanation: The Role of Control Strategies and Deep Models, a.a.O., S. 225.
246 KLEIN, DT; FININ, T.: What is a Deep Model?: A
Characterization of Knowledge Depth in Intelligent Safety
Systems, in: McDERMOTT, J. (ED.): Proceedings of the Tenth
International Joint Conference on Artificial Intelligence
(IJCAI-87), Aug. 23.-28., 1987, Milan, Vol. 1, Los Altos,
California 1987, S. 559 (559-562).
247 Vgl. KLEIN, D.; FININ, T.: What is a Deep Model?, a.a.O.,
S. 559.
248 Vgl. BRATKO, I.; MOZETIC, I.; LAVRAC, N.: KARDIO: A Study
in Deep and Qualitative Knowledge for Expert Systems,
a.a.O., S. 1.
249 Vgl. BOLAM, W.J.: Explanation in Expert Systems, a.a.O.,
3. 913
250 Vgl. BASDEN, A.: What is Deep Knowledge?, in: Alvey IKBS
Research Theme Expert Systems, Deep Knowledge Workshop No. 1, University of Sussex, Brighton, 10.-12. July 1985, 1985, o.S,
251 Vgl. BRATKO, I.; MOZETIC, I.; LAVRAC, N.: KARDIO: A Study
in Deep and Qualitative Knowledge for Expert Systems,
a.a.O., S. 4.
252 Vgl. KLEIN, D.; FININ, T.: What is a Deep Model?, a.a.O.,
S. 559.
253 Vgl. KIDD, A.L.: What do User Ask?, a.a.O., S. 13.
254 Vgl. PUPPE, F.: Einführung in Expertensysteme, a.a.O.,
S. 181f.
Vgl. auch BOLAM, W.J.: Explanation in Expert Systems, a.'a.O., S, 913
255 Vgl. HART, P.E.: Directions for AI in the Eighties, a.a.O.,
S. 13.
Vgl. auch BRATKO, I.; MOZETIC, I.; LAVRAC, N.: KARDIO: A Study in Deep and Qualitative Knowledge for Expert Systems, a.a.O., 3. 11
256 Vgl. PFEIFER, R.: Expertensysteme: Eine kritische
Einführung, in: BUNKE, H., MEY, H. (HRSG.): Künstliche
Intelligenz und Expertensysteme, Reihe Beiträge zur
Mathematik, Informatik und Nachrichtentechnik, Band 8,
Bern 1987, S. 44 (37-52).
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