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2.1.3.  Wissen in wissensbasierten Systemen

Wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt wurde, basieren sowohl wissensbasierte Systeme als auch Erklärungen auf Wissen. Da dieser Begriff von wesendlicher Bedeutung für dieses Thema ist, soll hier eine Klärung des Begriffs erfolgen.

Die Frage, was Wissen ist, beschäftigt die Menschen schon seit langem. Bis jetzt hat sich noch keine allgemein anerkannte Definition herausgebildet. Im folgenden wird ein Überblick über diesen Begriff gegeben. Philosophische Aspekte werden aber bewußt aus der Betrachtung ausgeschlossen.32

Eine allgemeine Definition des Wissensbegriffs in Anlehnung an STREITS33 geben BUTTENBRUCH und FRICK. Sie definieren Wissen wie folgt:

"Wissen haben, bzw. etwas wissen, heißt: über Erfahrungen und Einsichten in Zusammenhängen zu verfügen, die subjektiv und/oder objektiv wahr sind. Auf ihrer Grundlage können Urteile (Bewertungen) gebildet und Schlüsse gezogen werden. Diese Urteile und Ergebnisse der Schlüsse sollen dann ebenfalls sicher genug erscheinen, um als Wissen zu gelten."34

WETTLER35 betont ebenso die Bedeutung der Wahrheit, fordert aber zusätzlich, daß das Wissen erklärt werden kann.

Wissen enthält nach WETTLER drei Aspekte:  "Man sagt von einer Person, sie wisse um einen Sachverhalt,

  1. wenn diese Person den Sachverhalt für wahr hält,
  2. wenn man selbst den Sachverhalt für wahr hält und
  3. wenn   diese  Person   den  Sachverhalt   beschreiben   (begründen) könne."36

Im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird unter Wissen "die Gesamtheit (der) ... in einer Wissensrepräsentationssprache darstellbaren und im Rechner gespeicherten Informationen der Expertensystem-Anwendung (verstanden), die zur Beantwortung von Abfragen notwendig sind."37

Entsprechend dem Gebrauch des Wissens unterscheidet PUPPE zwischen Faktenwissen, Ableitungswissen und Steuerungs- oder Kontrollwissen. "Während Ableitungswissen (z.B. Regeln) den Gebrauch des Faktenwissens steuert, steuert das Kontrollwissen (z.B. sog. Metaregeln) den Gebrauch des Ableitungswissens."38

Häufig  wird  zwischen  tiefem  Wissen  [deep knowledge]  und Ober­flächenwissen [surface oder shallow knowledge] unterschieden.

Oberflächenwissen sind die Heuristiken (Daumenregeln) und fachspezifischen Theorien, die von Experten angewendet werden.39 Dieses   Wissen   kann   auch   als   praktisches   Wissen   bezeichnet werden, da es durch praktische Erfahrungen erworben wird.40

Tiefes Wissen sind z.B. Grundprinzipien und allgemeine Theorien, auf denen das Oberflächenwissen beruht. Dieses Wissen kann aus Lehrbüchern erworben werden und umfaßt z.B. Begriffs­definitionen, Ursache-Wirkung-Beziehungen und mathematische Gesetze.41 Tiefes Wissen ist idealerweise aufgabenunabhängig. Dasselbe tiefe Wissen über ein Auto kann z.B. zur Reparatur und zum Fahren eines Wagens verwendet werden.42

Sowohl beim Oberflächen- als auch beim tiefen Wissen kann weiter unterschieden werden zwischen deklarativem Wissen, prozeduralem Wissen und Kontrollwissen.

Unter deklarativem Wissen wird Fakten- und Tabellenwissen verstanden, das nachvollziehbar, überprüfbar und strukturierbar ist.43 Diese Form des Wissens beschränkt sich auf die reine Beschreibung von Sachverhalten und enthält keine Angaben über die Anwendung des Wissens zur Lösung eines Problems.44

"Prozedurales Wissen ist Formel- und Regelwissen, das Gesetzmäßigkeiten zwischen Objekten oder Ereignissen beschreibt."45 Dazu gehören z.B. Ableitungsregeln und Suchstrategien. Der aktive Gebrauch des Wissens steht dabei im Vordergrund.46

Kontrollwissen ist schließlich das Wissen über die Vorgehens­weise, die zum Erzielen eines gewünschten Ergebnisses notwendig ist.47 Es beschreibt die Steuerungsverfahren zur Verarbeitung des deklarativen und prozeduralen Wissens.48

Auf die verschiedenen Repräsentationsformen des Wissens in wissensbasierten Systemen soll nicht detailliert eingegangen werden, da für diese Arbeit die Wissensformen und nicht ihre Repräsentation von Bedeutung sind.49 In Beispielen wird häufig die Wissenrepräsentation in Form von Regeln exemplarisch verwendet, da sie die am häufigsten verwendete Form der Repräsentation ist.50 Andere Formen wie z.B. Semantische Netze, Frames oder die Prädikatenlogik 1. Ordnung könnten ebenso verwendet werden.


32       Philosophische Betrachtungen des Begriffs Wissen sind beispielsweise zu finden in: ZIMBRICH, F.: Eine Untersuchung über den Begriff des Wissens, Dissertation, Johan Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt a.M., Fachbereich Philosophie, 1975. AYER, A.J.: The Problem of Knowledge, New York 1956.

33       STREITZ, N.: Subjektive Wissensrepräsentation als Determinanten kognitiver Prozesse, Dissertation, Aachen, 1986, S. 12.

34      BUTTENBRUCH, P.; FRICK, D.: Kognitionspsychologische Aspekte der Wissensaquisition, Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Universität - Gesamthochschule - Duisburg, Nr. 120, Duisburg, August 1989,
S. 13f.

35       WETTLER, M.: Wissensrepräsentation - Typen und Modelle. in: BARTORY, I.S.; LENDERS, W.; PUTSCHKE, W. (HRSG.): Computer Linguistics, Ein internationales Handbuch zur computergestützten   Sprachforschung   und   ihrer  Anwendung, Berlin 1987.

36      WETTLER, M.: Wissensrepräsentation - Typen und Modelle, in:   BARTORY,   LS.;   LENDERS,   W.;   PUTSCHKE,   W.   (HRSG.): Computer Linguistics, Ein internationales Handbuch zur computergestützten Sprachforschung und ihrer Anwendung, Berlin 1987. Zitiert nach STOYAN, H.: Wissen wissensbasierte Programme etwas?, Ein Versuch über den Terminus "Wissens­repräsentation", in: HEYER, G.; KREMS, J.; GÖRZ, G. (HRSG.): Wissensarten und ihre Darstellung, Beiträge aus Philosophie, Psychologie, Informatik und Linguistik, Reihe Informatik Fachberichte 169, Subreihe Künstliche Intel­ligenz, Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo 1988 S.  251  (250-261).

37       APPELRATH, H.-J.: Von Datenbanken zu Expertensystemen, in: Reihe Informatik Fachberichte 102, Berlin/Heidelberg/ New York/Tokyo 1985, S. 5

38      PUPPE, F.: Einführung in Expertensysteme, Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo 1988, S. 12.

39       Vgl. HARMON, P.; KING, D.: Expertensysteme in der Praxis, a.a.O., S. 39.

40       Vgl. THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung und Expertensysteme, a.a.O., S. 65.

41        Vgl. THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung  und Expertensysteme, a.a.O., S. 63.

42       Vgl. VELDE, W. VAN DE: Explainable Knowledge Production, in: BOULAY, B. DU; HOGG, P.; STEELS, L. (EDS.): Advances in Artificial Intelligence - II, Seventh European Conference on Artificial Intelligence, ECAI-86, Brighton, U.K., July 20.-25., 1986, Amsterdam/New York/Oxford/Tokyo 1987, S. 47 (37-51).

43       Vgl. THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung  und Expertensysteme, a.a.O., S. 64.

44       Vgl. KURBEL, K.: Entwicklung  und  Einsatz  von  Expertensystemen, a.a.O., S. 37.

45       THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung und Expertensysteme, a.a.O., S. 64.

46       Vgl. KURBEL, K.: Entwicklung  und  Einsatz  von  Expertensystemen, a.a.O., S. 37.

47       Vgl. THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung   und Expertensysteme, a.a.O., S. 64

48       Vgl. BÖHRINGER, B.; CHIOPRIS, C; FUTO, I.: Wissensbasierte Systeme mit Prolog, Reihe künstliche Intelligenz, Bonn/Reading, Mass./Menlo Park, Calif./New York/Don Mills, Ontario/Wokingham, England/Amsterdam/Sydney/Singapore/ Tokyo/Madrid/San Juan 1988, S. 80.

49       Eine Dataillierte Darstellung erfolgt z.B. bei REIMER, U.: Einführung in die Wissensrepräsentation: netzartige und schemabasierte Repräsentationsformate, Reihe Leitfäden der angewandten Informatik, Stuttgart, 1991. Siehe auch LAUBSCH, J.: Techniken der Wissensdarstellung, in: HABEL, C, (HRSG.): Künstliche Intelligenz, Reprä­sentation von Wissen und natürlichsprachliche Systeme, Frühjahrsschule, Dassel (Soiling), 5.-16. März 1984, Reihe Informatik Fachberichte 93, Berlin/Heidelberg/New York/ Tokyo 1985, S. 48-93.

50       Vgl. KURBEL, K,: Entwicklung  und  Einsatz  von Expertensystemen, a.a.O., S. 47.