4.1.3.1. Verbesserung der Erklärungsfähigkeit durch Metawissen
Als Metawissen wird Wissen bezeichnet, das sich auf anderes Wissen bezieht. Dabei ist Metawissen ein relativer Begriff, d.h. eine Wissenseinheit X kann Metawissen über einer Wissenseinheit Y sein und dabei selbst Gegenstand von Metawissen. Es können also mehrere Metaebenen existieren.209
Die Frage, ob gewisse Informationen Metawissen oder Basiswissen darstellen, hängt vom Betrachtungspunkt ab. Die Uhrzeiten eines Busfahrplanes stellen z.B. Wissen dar. Informationen darüber, an welchen Tagen der Fahrplan gilt ist Metawissen.210 Für ein System, das die Aufgabe hat, für den Austausch der Busfahrpläne an den Bushaltestellen zu sorgen, stellt diese Information aber kein Metawissen, sondern auch Basiswissen dar.
Im folgenden wird anhand von verschiedenen Arten von Metawissen gezeigt, inwieweit diese Form des Wissens für Erklärungen von Bedeutung ist.
a) Metawissen zur Rechtfertigung von Regeln
Diese Form von Metawissen wurde in Kapitel 3.3.2. schon unter der Bezeichnung Canned Text vorgestellt. Die Rechtfertigungen werden den Regeln als ein Text zugeordnet und bei Erklärungen ausgegeben.211
b) Metawissen über die Herkunft von Wissen
Mit derselben Technik wie bei Canned Texten können den Regeln auch Informationen über den Autor der Regeln, das Alter der Regeln oder Verweise auf die Fachliteratur zugeordnet werden. Diese Informationen sind von Bedeutung, wenn der Benutzer nach der Herkunft von Regeln fragt, weil er nicht von der Korrektheit überzeugt ist.212
c) Metawissen über die Relevanz von Wissen
Metawissen kann auch verwendet werden, um für die Erklärung relevanten Informationen von unwichtigen zu unterscheiden.213 Eine derartige Metaregel könnte z.B. wie folgt lauten: Wenn in einer Regel auf biochemische Reaktionen eingegangen
werden Dann verwende sie nicht bei Erklärungen für Ärzte.
d) Metawissen über das Ausmaß des Wissens
Während Menschen die Fähigkeit besitzen, ohne lange nachzudenken Auskunft zu geben, ob sie Wissen über einen Bereich haben oder nicht, fehlt den meisten wissensbasierten Systemen diese Fähigkeit. Metawissen über das Ausmaß des Wissens ermöglicht es dem System, Informationen über ihren Arbeitsbereich zu geben.214
e) Metawissen über die Strategie
Einer der wichtigsten Einsatzbereiche von Metawissen ist die explizite Darstellung der Strategie. Durch eine Übersetzung des Trace kann die Erklärungskomponente beschreiben, wie das wissensbasierte System arbeitet. Sie besitzen aber häufig nicht die Fähigkeit, Schlußfolgerungsstrategien darzustellen.215 Diese Unfähigkeit, strategische Erklärungen zu generieren, also die Pläne und Methoden, die zur Zielerreichung verwendet werden, darzustellen,216 ist ein gravierendes Defizit von augenblicklichen wissensbasierten Systemen. Der Grund für diesen Mangel ist, daß sie kein explizites und seperates Wissen über die Problemlösungsstrategie besitzen, auf das die Erklä-rungskomponente zurückgreifen kann.217 Die Problemlösungsstrategie ist meist implizit in der Inferenzkomponente und in dem Aufbau der Wissensbasis enthalten.218
Strategisches Metawissen ermöglicht es, die Auswahlstrategie explizit darzustellen. Dies geschieht durch Metaregeln, die Strategien enthalten können, also Wissen über die Verwendung oder Auswahl anderer Regeln. Sie entscheiden, welche Regel als nächstes verwendet wird, wenn mehrere Regeln gleichzeitig angewendet werden können.219 Damit Metaregeln andere Regeln ordnen und auswählen können, ist es nötig, sie vor den übrigen anzuwenden.220
Hier einige Beispiele für strategische Metaregeln:
MR1: Use less hazardous methods before more hazardous
methods.
MR2: Use rules entered by an expert before rules entered by a novice.221
MR3: If 1) The age of the client is greater than 60,
- there are rules which mention in their premise blue-chip risk,
- there are rules which mention in their premise speculative risk,
then it is very likely (.8) that the former should be used before the latter.222
MR4: Ask a general question before a specific one when possible.223
Wenn die Strategie explizit in Form von Metaregeln dargestellt wird, hat die Erklärungskomponente die Möglichkeit, sowohl die Motivation für die konkreten Aktionen des wissensbasierten Systems darzustellen224 als auch abstrakt über die Problemlösungsstrategie zu berichten.225
Does Mary have a history of granulomas on biopsy of the liver, lymph node, or other organ? ** WHY?
[i.e. WHY is it important to determine whether Mary has a history of granulomas on biopsy of the liver, lymph node, or other organ?]
Konkrete Erklärung
[19.0] We are trying to decide whether Mary has tuberculosis
A history of granulomas on biopsy of the liver, lymph node, or other organ makes tuberculosis more likely.
Abstrakte Erklärung
[19.0] We are trying to test a hypothesis.
The datum in question makes the hypothesis more likely.
Abb. 11: Beispiel für abstrakte und konkrete Erklärungen
Erklärungen dieser Art erlauben es dem Benutzer, den Problemlösungsansatz zu erkennen und eventuell zu erlernen.227
NEOMYCIN228 ist ein Programm, das strategische Erklärungen mit Hilfe einer expliziten Repräsentation der Strategie erzeugt. Im Gegensatz zu anderen Programmen ist das strategische Wissen vollständig getrennt von dem Fachwissen.229
NEOMYCINS Strategie besteht aus Beziehungen von Aufgaben [tasks] und Metaregeln [metarules]. Ausgehend von einem Benutzerziel wird eine Aufgabe gestellt. Die Existenz der Aufgabe aktiviert eventuell eine Metaregel, die weitere Unterziele erzeugt. Letztendlich wird ein Unterziel aktiviert, das durch den Base Level erfüllt werden kann.230 Abb. 12 verdeutlicht diese Technik.
Abb. 12: Beziehung zwischen Aufgaben und Metaregeln bei NEOMYCIN231
Während Metaregeln Strategien darstellen, gibt es auch Meta-Meta-Regeln, die entscheiden, welche Strategie anzuwenden ist. Die Meta-Meta-Meta-Regeln haben die Aufgabe zu bestimmen, nach welchen Kriterien die Entscheidung über die Strategie gefällt werden soll.232
Abb. 13: Aufruf von Aufgaben bei einer NEOMYCIN-Konsultation (goal tree)233
Die in Abb. 13 dargestellte Aufgabenstruktur repräsentiert die allgemeine Problemlösungsstrategie.
Der Zielbaum [goal tree], der während einer Konsultation entsteht, wird als Basis für Erklärungen verwendet. Erklärungen werden dann als Übersetzung des Zielbaumes betrachtet. WHY-und HOW-Erklärungen erlauben einen Auf- beziehungsweise Abstieg entlang des Baumes.234
Um eine WHY-Frage zu beantworten, wird zuerst die Frage 'Warum versuchen wir diese Aufgabe zu lösen?' beantwortet. Der Grund
hierfür ist, daß jede Aufgabe durch eine Metaregel einer anderen Aufgabe erzeugt wird (siehe Abb. 11). Die Frage wird beantwortet durch die Aufgabe und die Metaregel, die die hinterfragte Aufgabe gestellt hat.235
Bei einer Erklärung einer HOW-Frage werden alle Metaregeln angezeigt, die mit dem relevanten Fall verbunden sind, einschließlich derer, die augenblicklich ausgeführt werden.236
Mit Hilfe einer expliziten Darstellung der Strategie sind strategische Erklärungen möglich, die die übergeordneten Ziele darstellen. Rechtfertigungen sind aber durch strategische Metaregeln nicht erstellbar,237 da weiterhin das benötigte tiefe Wissen fehlt.
209 Vgl. WAHLSTER, W.: Natürlichsprachliche Argumentation in
Dialogsystemen, a.a.O., S. 7.
210 Vgl. THUY, N.H.C.; SCHNUPP, P.: Wissensverarbeitung und
Expertensysteme, a.a.O., S. 129.
211 Vgl. LENAT, D.; DAVIS, R.; DOYLE, J.; GRENESERETH, M.;
GOLDSTEIN, I.; SCHROBE, H.: Reasoning about Reasoning,
a.a.O., S. 227.
212 Vgl. LENAT, D.; DAVIS, R.; DOYLE, J.; GRENESERETH, M.; GOLDSTEIN, I.; SCHROBE, H.: Reasoning about Reasoning, a.a.O., S. 227f.
213 Vgl. SAVORY, S.E.: Grundlagen von Expertensystemen, a.a.O.,
S. 278.
214 Vgl. LENAT, D.; DAVIS, R.; DOYLE, J.; GRENESERETH, M.;
GOLDSTEIN, I.; SCHROBE, H.: Reasoning about Reasoning,
a.a.O., S. 234.
Vgl. auch CLANCEY, W.J.: Transfer of Rule-Based Expertise Through a Tutorial Dialoaue, a.a.O., S. 188.
215 Vgl. CAVIEDES, J; BOURNE, J.; BRODERSEN, A.; OSBORNE,
P.; ROSS, A.; SCHAFFER, J.D.; BENGTSON, G.: A
Meta-Knowledge Architekture for Planning and Explanation
in Repair Domains, in: TZAFESTAS, S.G. (ED): Knowledge-Based System Diagnosis, Supervision and Control, Applied
Information Technology Series, New York/London 1989, S. 18
(11-26).
216 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategic
explanations for a diagnostic consultation system, in:
INTERNATIONAL JOURNAL OF MAN-MACHINE STUDIES, Special
Issue on Developement in Expert Systems, Part 2, Vol. 20,
1984, 3. 5 (3-19).
217 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategic
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 5/8.
218 Vgl. CLEAL, D.M.; HEATON, N.O.: Knowledge-Based Systems:
Implications for Human-Computer Interfaces, Ellis Horwood
Series in Information Technology, New York/Chichester/
Brisbane/Toronto 1988, S, 134.
219 Vgl. DAVIS, R.; BUCHANAN, B.G.: Meta-Level Knowledge:
Overview and Applications, in: Proceedings of the Fifth
International Joint Conference on Artificial Intelligence
(IJCAI-77), Aug. 22.-25., 1977, Cambridge, California, Vol. 2,
Los Altos, California 1977, 3. 925 (920-927).
220 Vgl. CLANCEY, W.J.: Transfer of Rule-Based Expertise
Through a Tutorial Dialogue, a.a.O., S. 185.
221 Vgl. LENAT, D.; DAVIS, R.; DOYLE, J.; GRENESERETH, M.;
GOLDSTEIN, I.; SCHROBE, H.: Reasoning about Reasoning,
222 DAVIS, R.; BUCHANAN, B.G.: Meta-Level Knowledge: Overview
and Applications, a.a.O., S. 925.
223 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategie
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 5.
224 Vgl. MORGADO. E.: Metaknowledge, Meta-Rules, and Meta-Reasoning, in: SHAPIRO, S.C. (ED.): Encyclopedia of
Artificial Intelligence, Volume 1, New York/Chichester/
Brisbane/Toronto/Singapore, 1987, S. 600 (598-603).
225 Vgl. CLEAL, D.M.; HEATON, N.O.: Knowledge-Based Systems:
Implications for Human-Computer Interfaces, a.a.O., S. 139.
226 Vgl. MOORE, D.J.; SWARTOUT, W.R.: Explanations in Expert
Systems, a.a.O., S. 15.
227 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategie
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
3. 5.
228 CLANCEY, W.J.; LETSINGER, R.: NEOMYCIN: Reconfiguring a
Rule-Based Expert System for Application to Teaching, in:
DRINAN, A. (ED.): Proceedings of the Seventh International
Joint Conference on Artificial Intelligence (IJCAI-81), Aug.
24.-28., 1981, Vancouver, B.C., Canada, Vol. 2, Los Altos,
California, 1981, S. 829-836.
229 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategic
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 6
230 Vgl. CLEAL, D.M.; HEATON, N.O.: Knowledge-Based Systems: Implications for Human-Computer Interfaces, a.a.O., S. 139.
23i Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategie explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O., S. 9.
232 Vgl. DAVIS, R.; BUCHANAN, B.; SHORTLIFFE, E.: Production Rules as a Representation for a Knowledge-Based Consultation Program, in: REGGIA, J. A.; TUHRIM, S. (EDS.): Computer-Assisted Medical Decision Making, Volume 2, Series Computers and Medicine, New ork/Berlin/Heidelberg/Tokyo, 1985, S. 15f (13-37).
233 Vgl. HASLING, D.W.; CLANCEY, W.J.; RENNELS, G.: Strategie
explanations for a diagnostic consultation system, a.a.O.,
S. 9.
234 Vgl. MORGADO. E.: Meta-Knowledge, Meta-Rules, and Meta-Reasoning, a.a.O., S. 600. |