Home     Europakarte     Weltkarte     Arbeiten     Impressum     Sitemap

 

2.1.1. Definition und Einordnung von wissensbasierten Systemen

Die Künstliche Intelligenz gehört zu den ältesten Teilgebieten der Informatik.7 Größere Erfolge in diesem Bereich ließen aber auf sich warten. Mitte der sechziger Jahre wurde von der Annahme ausgegangen, daß mit Hilfe von einigen grundlegenden und allgemein anwendbaren Schlußfolgerungsmechanismen intelligente Programme entwickelt werden können.8 Das wohl bekannteste Programm dieser Zeit ist der General Problem Solver (GPS)9. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre setzte sich die Erkenntnis durch, daß dieser Ansatz nicht zu leistungsfähigen Systemen führt, und das Wissen wurde als Schlüssel zu einer höheren Performance identifiziert.10 Diese Neuorientierung der Forschung führte zu einem Durchbruch im Bereich der Künstlichen Intelligenz-Forschung und zur Entwicklung von wissensbasierten Systemen. Diese Systeme gehören heute zu dem erfolgreichsten Bereich der Künstlichen Intelligenz11    und    stellen    "den    Teil    der    Künstlichen    Intelligenz-Forschung dar, der seinen Weg aus den Forschungs­laboratorien und Universitäten hin zu einer kommerziellen Nutzung angetreten hat."12

In der Literatur findet sich eine große Anzahl von Definitionen für die Begriffe 'wissensbasierte Systeme' und 'Expertensysteme'. Bis heute hat aber noch keine allgemein anerkannte Begriffsfindung stattgefunden.

Die Begriffe 'Expertensysteme' und 'wissensbasierte Systeme' werden von den meisten Autoren synonym verwendet.13 Es gibt aber auch Autoren, die diese Begriffe voneinander abgrenzen. Insgesamt ist festzustellen, daß der Begriff 'Expertensystem' in der Literatur häufiger verwendet wird.

Um einen Einblick in die einschlägige Diskussion zu geben, werden hier als erstes einige Unterscheidungsversuche der Begriffe aus der Literatur vorgestellt:

Eine Unterscheidung von wissensbasierten Systemen und Expertensystemen nimmt beispielsweise KURBEL vor: Wissensbasiertes System definiert er als "ein Softwaresystem, bei dem das Fachwissen über ein Anwendungsgebiet ("Domain knowledge") explizit und unabhängig vom allgemeinen Problemlösungswissen dargestellt wird".14

Unter  einem  Expertensystem  versteht  er  "ein Programm,   das  in einem eng abgegrenzten   Anwendungsbereich die spezifischen Problemlösungsfähigkeiten eines menschlichen Experten erreicht
oder übertrifft".15

Wie aus den Definitionen zu entnehmen ist, repräsentiert für ihn der Begriff Expertensystem "den externen Aspekt - das Verhalten des Systems seiner Umwelt gegenüber".16 Mit welcher Technik dieses Verhalten erreicht wird, ist dabei ohne Bedeutung. Der Begriff wissensbasierte Systeme bezieht sich dagegen auf die "interne Systemstruktur, also die softwaretechnologische Seite mit der (mehr oder weniger) expliziten Darstellung des anwendungsspezifischen Wissens"17.

Eine andere Unterscheidung wird von HARMON und KING vorgenommen: "Im Gegensatz zu Expertensystemen werden Wissens­systeme18 häufig zur Lösung kleiner schwieriger Probleme entworfen, während große komplexe Probleme echtes menschliches Expertentum erfordern."19

WATERMAN20 nimmt ebenso eine Unterscheidung der Begriffe vor. Er versteht Expertensysteme als eine Teilmenge von wissensbasierten Systemen. Expertensysteme unterscheiden sich für ihn dadurch, daß sie Wissen von Experten enthalten, während in wissensbasierten Systemen auch Wissen von Nichtexperten gespeichert sein kann.

Im Rahmen dieser Arbeit ist eine derartige Unterscheidung der Begriffe nicht von Bedeutung und wird deshalb nicht vor­genommen. In Übereinstimmung mit BUNKE werden die Begriffe wissensbasiertes System und Expertensystem synonym verwendet und wie folgt definiert:

Expertensysteme (bzw. wissensbasierte Systeme) sind Computersysteme, in denen die fachliche Kompetenz von Experten in Form von Sach- und Erfahrungswissen gespeichert ist. Sie benutzen neben Fakten- und Regel­wissen Heuristiken und vages Wissen und sind imstande, durch Anwendung gespeicherter Regeln aus vorgegebenen Daten selbstständig Schlüsse zu ziehen, d.h. Problem­lösungen anzubieten. Darüber hinaus können sie an jeder Stelle des Lösungsprozesses Auskunft darüber geben, welche Annahme sie gerade verfolgen, warum sie einen eingeschlagenen Lösungsweg gewählt haben, zu welchen Schlußfolgerungen sie bereits gelangt sind und warum sie zu diesen Ergebnissen gekommen sind.21

Nach der Festlegung des Begriffes sollen nun die Hauptunterschiede zwischen einem wissensbasierten und konvention­ellen Programm dargestellt werden.

Ein wichtiger Unterschied besteht darin, daß die Lösung eines Problems nicht auf der Basis von Algorithmen erfolgt, sondern mit Hilfe von intelligenten Suchverfahren.22

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die strikte Trennung zwischen Wissensbasis und Inferenz, die bei konventionellen Programmen nicht besteht. Diese Trennung ermöglicht es, das im System gespeicherte Wissen ohne umfangreiche Neuprogram­mierungen zu ändern oder zu erweitern.23

Wissensbasierte Systeme zeichnen sich darüber hinaus durch die Fähigkeit aus, auch Heuristiken und unsicheres Wissen ver­arbeiten zu können.24

Der größte Unterschied aus dem Blickwinkel eines Anwenders besteht in der Erklärungsfähigkeit von wissensbasierten Systemen. Diese Eigenschaft hebt die wissensbasierten Systeme ganz deutlich von den bisherigen konventionell programmierten Softwaresystemen ab, da sie dort (in der Regel)25 nicht vorhanden ist.26


7        Vgl. LEBSANFT, E.W.; GILL, U.: Expertensysteme in der Praxis - Kriterien für die Verwendung von Expertensystemen zur Problemlösung, in: SAVORY, S.E. (HRSG.): Expertensysteme: Nutzen für Ihr Unternehmen: Ein Leitfaden für Entscheidungsträger, München/Wien 1987, S. 136 (135-149).

8        Vgl. BORKOWSKI, V.; GEIS, W.: Expertensysteme, Grundlagen, in: MERTENS, P. (HAUPTHRSG.): Lexikon der Wirtschaftsinformatik, 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo/ Hong Kong 1990, S. 174 (173-176).

9        NEWELL, A.; SIMON, H.: GPS, a Program That Simulates Human Thought, in: FEIGENBAUM, E.A.; FELDMANN, J. (EDS.): Computers and Thought, New York 1963, S. 279-296.

10        Vgl. BORKOWSKI, V.; GEIS, W.: Expertensysteme, Grundlagen, a.a.O., S. 174.

11        BORKOWSKI und GEIS unterscheiden aus Sicht der Anwender sechs Haupteinsatzgebiete der Künstlichen Intelligenz: 1. Verarbeitung natürlicher Sprache, 2. Expertensysteme, 3. Deduktionssysteme, 4. Robotik, 5. Bilderkennung und -Verarbeitung, 6. Neuronale Netze. Vgl. BORKOWSKI, V.; GEIS, W.: Künstliche Intelligenz, in: MERTENS, P. (HAUPTHRSG.): Lexikon der Wirtschaftsinformatik, 2., vollständig   neu   bearbeitete   und   erweiterte   Auflage,   Berlin/Heidelberg/New    York/London/Paris/Tokyo/Hong    Kong    1990, S. 252f (252-253).

12        MERTENS,  P.; BIEBINGER, H.: Entwicklungsphasen wissensbasierter Systeme, a.a.O., S. 64.

13        Vgl. BIETHAHN, J.; MUCKSCH, H.; RUF, W.: Ganzheitliches Informationsmanagement, Band 2, Daten und Entwicklungsmanagement, München/Wien 1991, S. 13.

14        KURBEL, K.: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen: eine anwendungsorientierte Einführung in wissensbasierte Systeme, Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo 1989, S. 18.

15        KURBEL,  K.: Entwicklung und Einsatz von Experten-Systemen, a.a.O., S. 22.

16        KURBEL, K.: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, a.a.O., S. 26.

17        KURBEL, K.: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, a.a.O., S. 26.

18        HARMON und KING verwenden die Begriffe Wissenssystem und wissensbasierte Systeme synonym.

19        HARMON, P.; KING, D.: Expertensysteme in der Praxis: Perspektiven, Werkzeuge, Erfahrungen, 3., aktualisierte und ergänzte Auflage, München/Wien 1989, S. 302. Die gleiche Unterscheidung wird auch von SCHNUPP vorgenommen. Vlg.   auch  SCHNUPP,   P.   (HRSG.):   Expertensysteme, State of the Art: 1, München/Wien 1986, S. 83.

20       Vgl. WATERMAN, D.A.: A Guide to Expert Systems, The Teknowledge Series in Knowledge Engineering, Reading, Massachusetts, 1986, S. 18.

21        BUNKE, H.: Künstliche Intelligenz und Expertensysteme: Grundlegende Begriffe, Anwendungen und zukünftige Perspektiven, in: BUNKE, H.; MEY, H. (HRSG.): Künstliche Intelligenz und Expertensysteme, Reihe Beiträge zur Mathematik, Informatik und Nachrichtentechnik, Band 8, Bern 1987, S. 18 (11-24).

22       Vgl. STAHLKNECHT, P.: Einführung in die Wirtschaftsinformatik, Vierte, völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin/Heidelberg/New York/London/Paris/Tokyo/ Hong Kong 1989, S. 372.

23       Vgl. BUNKE, H.: Künstliche Intelligenz und Expertensysteme, a.a.O., S. 19.